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14. November 2022

Grundschulen haben einen ganzheitlichen Bildungsauftrag – angekündigte Maßnahmen sind nicht zielführend


Mit Irritation hat der VBE SH die von der Bildungsministerin Karin Prien angekündigten Maßnahmen auf die Ergebnisse der IQB Studie wahrgenommen.

„Ziemlich eindimensional und in der Form nicht zielführend“, so beschreibt Christian Schmarbeck, Landesvorsitzender des VBE SH den ersten Eindruck.

„Die Schlussfolgerung, dass mangelnde Leitungen in Mathematik und Deutsch einfach durch mehr Unterrichtsstunden begegnet werden könnte, greift zu kurz“, so Schmarbeck.

„Wir haben anlässlich der Ankündigungen aus dem Ministerium viele Mails von Lehrkräften erhalten.  Zusammenfassend gesagt sind die Lehrkräfte fassungslos ob der Äußerungen. Mehrfach fiel das sprachliche Bild des „vor den Kopf gestoßen Werdens“.

Diese Form der Kommunikation trägt definitiv nicht dazu bei, dass Ergebnisse bei Studien besser werden. Schon gar nicht hilft sie bei der Suche nach dem so dringend gebrauchten Lehrkräftenachwuchs.

An vielen Stellen im Land fehlen ausgebildete Grundschullehrkräfte. Eine Erhöhung der zu unterrichtenden Stunden und die Schulen mit der Personalfrage dann alleine stehen zu lassen, sorgt für Unverständnis. Wie sollen die Schulen das vor Ort regeln, wenn schon jetzt an vielen Stellen engagierte Menschen ohne jegliche Lehramtsausbildung im Unterricht eingesetzt werden müssen, um die Verlässlichkeit aufrechtzuerhalten.

Und, um es ganz deutlich zu sagen: Der implizite Vorwurf, dass die Lehrkräfte einfach nur besser unterrichten müssten und dann wären die Ergebnisse in Vergleichsarbeiten signifikant besser, hilft niemandem und ist fernab der Realität in den Schulen!

Viel hilfreicher wäre hingegen, wenn der Unterricht wieder in den Fokus rücken kann und erstens endlich multiprofessionelle Teams in den Schulen installiert würden und zweitens Lehrkräfte wieder die Zeit zugestanden wird, die für eine angemessene Vorbereitung des Unterrichts unabdingbar ist, gerade in sehr heterogenen Lerngruppen.

Auch gerät aus dem Blick, dass hier ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, nämlich fehlendes Lesen und fehlende Kommunikation in den Familien, dafür steigende Medialisierung, wieder einmal allein durch die Arbeit in den Schulen gelöst werden soll.  

Lehrkräfte hätten mit Sicherheit Ideen, wie sie die Lesekompetenz fördern könnten. Leider werden sie aber mit anderen Aufgaben überhäuft und das aufgrund von Vorgaben aus dem Ministerium.

„Selbstverständlich gibt es Dinge, über die man in den Austausch gehen kann. Wenn tatsächlich ein belegbarer Zusammenhang zwischen einzelnen Lehrwerken und entwickelten Kompetenzen besteht, sind wir Lehrkräfte froh über solche Hinweise und ebenso selbstverständlich auch bereit, die Lehrwerkauswahl zu hinterfragen und die Entscheidung für ein Lehrwerk anzupassen“.

Die Idee hingegen, Unterrichtsstunden „umzuwidmen“, um sich auf Mathematik und Deutsch zu konzentrieren, konterkariert den ganzheitlichen Bildungsauftrag der Grundschule. Musisch-ästhetische Bildungsangebote, Sport und Bewegung sind nicht weniger wert, sondern tragen wesentlich zur Gesamtentwicklung der Kinder bei. Und sie ermöglichen auch den Schülerinnen und Schülern Selbstwirksamkeitserlebnisse, die in Mathematik oder Deutsch noch Schwierigkeiten haben.

Darüber hinaus bieten sich dort andere Möglichkeiten der positiven Beziehungsgestaltung an.

Nach wie vor besteht der Auftrag, die pandemiebedingten, fehlenden Sozialerfahrungen nachzuholen, psychische Belastungen von Kindern zu erkennen und auch hier unterstützend zu agieren. Soll das jetzt ausgesetzt werden, wenn mehr Mathematik und Deutsch unterrichtet werden muss?

Wer behauptet, dass eine höher getaktete Messung in Form von Vergleichtests, verbunden mit dem Damoklesschwert einer notwendigen Rechtfertigung gegenüber der Schulaufsicht, Schülerleistungen verbessert, verkennt die Situation. Der einzige Sinn der Diagnose, als dem testbasierten Feststellen von fehlenden Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern, ist die Therapie, also die zielgenaue Unterstützung und Förderung.  Eine ehrliche und zielorientierte Politik wäre sich bewusst, dass sie die Verantwortlichkeit innehat, im Anschluss dann auch Förderung zu ermöglichen. Hierfür sieht der VBE allerdings keinerlei Anzeichen. Aus Bordmitteln der Schulen ist das nicht zu leisten. Jedenfalls nicht, ohne dass anderes wegfallen müsste.

Eine Schule, die durch stetiges Messen den Blick auf die Defizite legt, aber dann nicht agieren kann, weil die Mittel fehlen, ist nicht zukunftsfähig.

Der entstehende Eindruck, Schulen müssten sich bei schlechten Ergebnissen in Testungen vor der Schulaufsicht verantworten, wirkt aus der Zeit gefallen. Es sollte weniger darum gehen, Schulen -oft personell eng besetzt- jetzt unter Druck zu setzen, sondern vielmehr darum, Schulen und Lehrkräfte so auszustatten, dass sie ihrer Aufgabe wirklich nachkommen können. Lehrkräften den sprichwörtlichen „Schwarzen Peter“ zuzuschieben ist vielleicht die einfachere, aber mit Sicherheit nicht die zielführende Variante.

Christian Schmarbeck

Landesvorsitzender VBE Schleswig-Holstein