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16. April 2025

Erlassentwurf zur Prüfungs- und Leistungskultur in der Sekundarstufe 1 – Stellungnahme des VBE

 Grundsätzliches:

  1. Das Landesergebnis zur Statusabfrage Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Lehrkräfte stellt nicht nur fest, dass die Arbeitsdichte nicht nur die höchste Belastung darstellt, sondern auch die Gemeinschaftsschulen die höchsten Belastungsstufen erleben. Insofern empfindet der VBE diesen Erlassentwurf als Ausdruck besonderer Ignoranz, da er an mehreren Stellen erhebliche Mehrarbeit und Belastung erzeugen wird. Der VBE erwartet entsprechenden Aufgabenausgleich. Die Lehrkräfte sind nicht unbegrenzt belastbar.
  2. Wenn man das Schuljahr in vier Quartalen erfasst, ist die Anzahl der Leistungsnachweise in den „Langfächern“ grundsätzlich zu hoch. Wer sich die Mühe macht, in tatsächlich stattfindenden Unterrichtswochen/Stunden statt mit einer Kontingentstundentafel zu rechnen, weiß um vorhersehbaren Ausfall (Klassenfahrt, Projektwochen, Praktika, Projekte) plus durchschnittlichem Ausfall wegen Krankheit. Dann wird nämlich deutlich, dass es eigentlich zu viele Leistungsnachweise sind, die dann Druck auslösen.

Zu einzelnen Punkten dieses Erlassentwurfes:

Zu 1a: „Die Schülerinnen und Schüler sollen in der Erreichung der basalen/grundlegenden Kompetenzen gefördert werden und hierzu regelmäßig Rückmeldung erhalten.

  • „In den Jahrgangsstufen 3 und 8 finden Vergleichsarbeiten statt.“

Wenn in landesweit gleichen Leistungsüberprüfungen das Wissen abgefragt wird, das die Schüler erst am Ende des folgenden Schuljahres beherrschen können sollen, kann man nicht von einer Vergleichsarbeit sprechen, sondern allenfalls von einer Lernstandsfeststellung. Es erschließt sich in diesen Fällen nicht, warum und worüber dann mit dem Schulamt Zielvereinbarungen geschlossen werden sollen. Die Lerninhalte sind im Fachcurriculum jahrgangsweise bereits festgelegt.

Der VBE macht darauf aufmerksam, dass bisher vom Messen und Testen noch kein Kind, kein Jugendlicher schlauer geworden ist.

  • „In allen Fächern und Jahrgangsstufen werden die Leistungsnachweise künftig auf die Einhaltung der standardsprachlichen Normen geprüft. Fehler werden von den Lehrkräften berichtigt.“

Es ist den Verfassern anscheinend überhaupt nicht bewusst, welcher zeitliche Mehraufwand diese Vorgabe darstellt. Wer SuS für ihre Rechtschreib- und/oder Grammatikfehler sensibilisieren möchte, muss diese Problematik auch unterrichtlich thematisieren. Ein bloßes Verbessern stellt erfahrungsgemäß null Lerneffekt dar und wird grundlegende Kompetenzen in keiner Weise fördern. In Zeiten von Autokorrektur und Senden von Satzbruchstücken in kompletter Kleinschreibung über Whatsapp o.ä. wird ein rechtschreibliches Verständnis der Sinnhaftigkeit von korrekter Schreibung nur durch unterrichtliches Aufgreifen und – ja auch - entsprechender Sanktionierung in der Klassenarbeit zu einer Veränderung führen.

Es ist den Verfassern anscheinend überhaupt nicht bewusst, welch niederschmetternde Wirkung solch ein Korrekturverhalten für betroffene SuS mit starker Rechtschreibeinschränkung hat. Wir denken hier nicht an vereinzelte Verbesserungen, die u.U. durchaus hilfreich sein könnten.

Aber das hatten wir alles schon einmal: Notenabzug bei mangelhaftem Elementarbereich, sinnfreies Korrigieren von Klassenarbeiten auch außerhalb des Deutschunterrichtes, nochmaliges korrigiertes Abschreiben der Klassenarbeit als Berichtigung etc.  Schon vor vielen Jahren hat man gemerkt, dass hierdurch keinerlei Lerneffekt entsteht. SuS konzentrieren sich in einer Mathearbeit oder in einer zukünftigen Geschichtsarbeit auf die richtige Berechnung der Aufgabe bzw. Beantwortung einer Frage. Soll die richtige Antwort nicht gewertet werden, wenn die Rechtschreibung nicht stimmt? In 3b heißt es dann, dass Korrekturanmerkungen der Schülerin bzw. dem Schüler eine Lernhilfe bieten sollen. Die schulische Realität zeigt: Gekennzeichnete Fehler werden bestenfalls zur Kenntnis genommen. Entscheidend ist die Note, die unter der Klassenarbeit steht.

Aus reinem Selbstschutz werden Lehrkräfte von offeneren Methoden der Leistungsüberprüfung zu geschlossenen Aufgabenstellungen wie Multiple-Choice-Aufgaben oder Lückentexten in Klassenarbeiten, die etwas länger als 20 Minuten dauern, übergehen.

Angesichts der Ergebnisse der Statusabfrage (Termin- und Leistungsdruck, zunehmende Aufgaben (!) und hohe Anzahl von Besprechungsterminen als meistgenannte Belastungsfaktoren) wirkt diese Anweisung, in allen Fächern Korrekturarbeit zu leisten - mal wieder- wie Hohn.

Der VBE spricht sich entschieden dagegen aus und verweist auf die einleitenden Worte.

  • 1b) „Die Leistungsanforderungen an Schülerinnen und Schüler werden genauer definiert und erhöht.“

Die Leistungsanforderungen sollen „vertieft“ werden. Was bedeutet das? Die bisherige Praxis der Lehrkräfte, Leistungsnachweise zu konzipieren, war oberflächlich und zu einfach? Gleichwertige Leistungsnachweise sind bereits in den Schulen etabliert und werden kompetent auf den erarbeiteten Wissenstand abgestimmt und sinnführend erstellt.

  • „Die Breite der Leistungsanforderungen nimmt zu.“

In allen Fächern müssen die Leistungen der Schüler nachvollziehbar bewertet werden, somit auch im natur- und gesellschaftswissenschaftlichen wie auch im ästhetischen Bereich. Das ist nicht neu. Jedoch kann hier von einer Verlagerung der Leistungsnachweise nicht die Rede sein. Tests, benotete Präsentationen und Wissensüberprüfungen in mündlicher Form finden in allen Fächern bereits statt. 

  • 1c) „Schleswig-Holstein macht die Leistungsnachweise zukunftsfest.“

Es soll medien- und materialgestütztes Arbeiten unter Aufsicht als neue Form eines Prüfungsformates ermöglicht werden. Das kommt der Welt der Schüler sicher entgegen. Die Nutzung von KI und von digitalen Hilfsmitteln muss den Schülern vermittelt werden. Da die Ausstattung der Schulen jedoch weiterhin Aufgabe eines mehr oder weniger solventen Schulträgers ist, wird es bei der Geräteanzahl, deren Wartung oder der Betreuung der Netzwerke definitiv regionale Unterschiede und damit nicht für alle Schüler die gleichen Möglichkeiten des Leistungsnachweises geben.

Zukunftsfest bedeutet auch, dass sie den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasst sind. Die durch Medienkonsum veränderten Denkstrukturen der Kinder und Jugendlichen verändert auch die Lernfähigkeit. Die Schülerschaft der Gemeinschaftsschulen hat überwiegend überdurchschnittliche Smartphone-Nutzungszeiten. Die Konzentrationsspanne ist meist sehr kurz, handelndes Lernen muss in den Fokus treten. Wenn nun laut Erlassentwurf in Leistungsnachweisen „komplexere und sehr viel umfassendere Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler“ gestellt werden, ist ein Scheitern vorprogrammiert.

  • „[...]; zur Sicherung der grundlegenden Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik ist die Zahl jeweils um einen Leistungsnachweis erhöht.“

Das bedeutet also, dass durch eine Erhöhung der Anzahl der Leistungsnachweise die Leistungen der Schüler besser werden....

Die Schülerleistungen werden durch guten Unterricht von hochmotivierten, gut ausgebildeten und nicht durch Bürokratismus eingeengten Lehrkräften gewährleistet, die sich auf ihre Kernaufgaben der Wissensvermittlung und Erziehung konzentrieren können. Ein Leistungsnachweis mehr erhöht keinesfalls grundlegende Kompetenzen. Dieser Ansatz ist schlicht und einfach falsch und völlig an der Realität vorbeigeplant. 

Nebenbei sind wieder die Lehrkräfte gekniffen, die sowieso durch die bisherigen Korrekturzeiten ihrer Hauptfächer mehr belastet waren. Außerdem soll laut Erlass die Korrekturbelastung innerhalb eines Kollegiums gleichmäßiger verteilt werden. Wo hier eine Entlastung zu erkennen ist, erschließt sich nicht.

Insgesamt die Anzahl der Klassenarbeiten zu verringern ist der sinnvollere Ansatz, um den Fachkonferenzen die Freiheit zu geben, über schülerangemessene Leistungsnachweise nachdenken zu können.

Alle Fächer, die vorher keine Leistungsnachweise laut Tabelle hatten, mussten sich ohnehin in der Fachkonferenz auf gemeinsame Grundlagen der Leistungsbewertung einigen. 

  • 2. „Ein Instrumentarium von diagnostischen Instrumenten muss jetzt neben die bestehenden Leistungsnachweise gestellt werden.“

Diagnostik ist eine der grundlegenden Kompetenzen einer Lehrkraft, um Lernschwierigkeiten und Lernerfolge zu bewerten, individuelle Fähigkeiten und Einschränkungen des einzelnen Kindes zu erkennen und zu berücksichtigen, sowie Fördermaßnahmen zu initiieren.

Dafür benötigt es Zeit. Ohne diese basale Komponente verbrennen Lehrkräfte, die mit Hilfe von sinnvollen diagnostischen Hilfsmitteln versuchen, jedem Kind so gerecht zu werden, dass es sich zu einem schulisch gut ausgebildeten Menschen entwickelt. Eine immer größer werdende Aufgabenflut ohne Entlastung lässt die Konzentration auf diesen pädagogischen Urgedanken des Berufes der Lehrkraft nicht mehr zu. Auch hier fordert der VBE auf die Ergebnisse der Statusabfrage Rücksicht zu nehmen.

Nachhaltiges Lernen entsteht durch selbstwirksames, intrinsisch motiviertes Lernen und Wiederholung. Um Fehlerschwerpunkte individuell zu bearbeiten benötigt es Zeit und die Möglichkeit der Konzentration auf diese Unterrichtsinhalte. Ständige neue Erlasse, Veränderungen, Neuorientierungen, gesellschaftliche Anforderungen, das Reagieren auf aktuelle Ereignisse und Aufgabenanhäufungen („Das muss Schule dann auch noch übernehmen...“) lassen diese Konzentration nicht zu.

Die Pflicht von Dienstvorgesetzten im Bereich Bildung ist es, dafür zu sorgen, dass Bildungseinrichtungen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.

Der VBE fordert, diesen Erlassentwurf zu überarbeiten und an anderer Stelle Aufgaben abzubauen.

Annette Jeß, Landesvorsitzende