In der Schule arbeiten wir mit viel Geduld daran, dass es immer einen gewaltfreien Weg geben muss, einen Konflikt zu schlichten. Das ist alternativlos.
Gewalt insbesondere gegen Lehrkräfte darf kein Tabuthema sein. Es darf auch nicht bagatellisiert werden, dass aus dem Ruder laufende Konflikte zum Berufsbild der Lehrkraft gehören; auch Beißen und Treten in einer ersten Klasse, auch Drohen und Beleidigen in einer achten Klasse, wie auch Cybermobbing.
Gewalt gegen Lehrkräfte ist kein Problem des/der Betroffenen, sondern • eine strafbare Handlung, die zur Anzeige gebracht werden muss • Angelegenheit des ganzen Kollegiums!
Aus dem Notfallwegweiser des MBWFK, S. 44
Lehrkräfte haben solche Angriffe nicht verdient.
Der VBE hatte 2016 das Meinungsforschungsinstitut forsa damit beauftragt, eine repräsentative Umfrage zum Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“ durchzuführen. Fast 2.000 Lehrkräfte wurden befragt. 2022 wurde die Umfrage bei einer Schulleitungsbefragung wiederholt. Ergebnis: Die Fälle haben zugenommen, wenngleich die Meldungen in SH leicht zurückgegangen sind.
Aus Beratungen von Lehrkräften wurden zwei Fakten deutlich:
Es belastet die Betroffenen und macht sie mürbe. Sie werden krank. Sie gehen verstärkt in Teilzeit oder werden dienstunfähig.
Sie fühlen sich dienstlich allein gelassen und vermissen eine ausreichende Fürsorge durch den Dienstherrn.
Beides können und dürfen wir uns nicht leisten. Gewalt überschreitet eine rote Linie und ist nicht mal so, mal so zu beurteilen.
Dazu brauchen wir klare Handlungsrichtlinien in jeder einzelnen Schule und Unterstützungsmaßnahmen auf der administrativen Ebene. Keinesfalls sollte der/die Betroffene den Konflikt mit sich selbst ausmachen. Ein gut funktionierendes soziales Netz kann auffangen und vor der Tabuisierung bewahren. Auch ein Schulkodex schafft Sicherheit beim Umgang mit Konflikten.
Zur grundsätzlichen Haltung der Schule: Eine klare Grenzsetzung gegenüber inakzeptablen Formen der Auseinandersetzung ist unabdingbar – Lehrkräfte müssen sich weder beschimpfen, anpöbeln, bedrohen, noch verunglimpfen lassen. Dabei ist es absolut unerheblich, ob sich die bedrohte Lehrkraft im Vorfeld oder der Situation selbst „geschickt“ verhalten hat oder nicht.
Gewalt gegen Lehrkräfte darf nach grundsätzlicher Auffassung des VBE kein Tabuthema sein.
Die Dokumentation von Vorfällen muss verpflichtend erfüllt werden (Gemon).
Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienstherrn erhalten, beginnend bei der Schulleitung und fortgesetzt in Schulamt und Ministerium.
Dazu gehört ein Strukturplan, den die betroffene Lehrkraft in die Hand nehmen kann mit Hinweisen, an wen sie sich wenden kann und was nach einem Übergriff zu tun ist. Mit gesicherten Hinweisen zu Strafantrag, Dienstunfall und Rechtsschutz durch den Dienstherrn.
Letzteres fehlt noch in Schleswig-Holstein und führt zu eheblichen Verunsicherungen – eine Forderung des VBE.
Handreichungen:
Der Notfallwegweiser, ein Ordner für alle möglichen Notfälle, liegt in allen Schulen vor, auch mit Hinweisen bei Gewalt gegen Lehrkräfte: (Tätlicher) Angriff, Bedrohung, Mobbing im Internet, grundsätzliche Haltung der Schule/Schulleitung/Schulaufsicht (vgl. S. 44 ff.).
Gewalt gegen Lehrkräfte auf einem besorgniserregenden Niveau!
Bereits seit 2016 lässt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Schulleitungen in regelmäßigen Abständen danach befragen, wie zufrieden sie mit ihrem Job sind und veröffentlicht die Ergebnisse anlässlich der Eröffnung des Deutschen Schulleitungskongresses (DSLK) in Düsseldorf. Auch in diesem Jahr führte das Meinungsforschungsinstitut forsa eine repräsentative Umfrage unter mehr als 1.300 Schulleitungen durch. Die nunmehr sechste Berufszufriedenheitsumfrage unter Schulleitungen legte ein besonderes Augenmerk auf das Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“.
„Die Ergebnisse zum Thema ‚Gewalt gegen Lehrkräfte‘ sind bedrückend. Fakt ist: Gewalt gegen Lehrkräfte und Schulleitungen ist an der Tagesordnung und wird seit dem Beginn der Coronapandemie zu einem immer größeren Problem in den Schulen. Darüber hinaus sehen wir einen dramatischen Rückgang der Berufszufriedenheit von Schulleitungen“, fasst Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), die heute veröffentlichten Ergebnisse zusammen.
Die Ergebnisse der Studie offenbaren, dass sich die Zahl der Schulen, an denen es in den letzten fünf Jahren Gewalt gegen das pädagogische Personal gab, auf einem hohen Niveau eingepegelt hat. So meldeten fast zwei Drittel der befragten Schulleitungen zurück, dass es innerhalb der letzten fünf Jahre Fälle psychischer Gewalt, beispielsweise in Form von Beleidigungen, Bedrohungen oder Belästigungen an ihrer Schule gegeben hätte. Gut ein Drittel der Schulleitungen weiß, dass Lehrkräfte Opfer von Cyber-Mobbing wurden. Besonders erschreckend: In einem weiteren Drittel der Schulen kam es in den letzten fünf Jahren zu gewalttätigen körperlichen Angriffen auf Lehrkräfte oder Schulleitungen. Für Udo Beckmann ist dieser Befund ein Skandal: „Rechnet man die Prozentangaben auf die Grundgesamtheit der allgemeinbildenden Schulen hoch, bedeutet das, dass es in den letzten fünf Jahren an fast 20.000 Schulen zu psychischer und an jeweils gut 10.000 Schulen zu Cyber-Mobbing oder körperlicher Gewalt kam. Dieser Zustand ist unhaltbar. Der Schutz der Lehrkräfte muss dringend auf die politische Agenda.“
Dabei gibt es teils deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Schulformen. So kam es beispielsweise an drei von vier Förder- und Sonderschulen, also mehr als doppelt so häufig wie im Durchschnitt, zu Fällen direkter physischer Gewalt, wohingegen dies lediglich sechs Prozent der Schulleitungen an Gymnasien feststellten. Im Gegensatz dazu kam es an Förder- und Sonderschulen seltener zu Fällen von Cyber-Mobbing (13 Prozent) als dies beispielsweise an Haupt-, Real- und Gesamtschulen (55 Prozent) oder Gymnasien (45 Prozent) der Fall war.
Hierzu Beckmann: „Auch wenn die unterschiedlichen Schulformen mit ebenso unterschiedlichen Ausprägungen von Gewalt zu kämpfen haben, steht fest: Jeder Form von Gewalt gilt es Einhalt zu gebieten, und jeder einzelne Vorfall ist einer zu viel. Die Politik muss Schulen massiv unterstützen, damit sie schnellstmöglich zu einem weitgehend gewaltfreien Raum werden!“
Es kommt erschwerend hinzu, dass fast die Hälfte der Befragten angab, dass die Anzahl der Fälle seit Beginn der Pandemie zugenommen habe. 40 Prozent sahen sogar eine starke Zunahme von Gewalt an ihrer Schule. Bei den Täter:innen handelt es sich unabhängig von der Art der Übergriffe und dem Anlass in einem übergroßen Teil der Fälle um Eltern und Schüler:innen. Aber auch Erwachsene, die ansonsten in keiner Verbindung zur Schule stehen, wurden im Kontext der Pandemie zu Täter:innen.
Auf die Frage, ob es in den allermeisten Fällen gelungen sei, betroffene Kolleg:innen ausreichend zu unterstützen, antwortete mehr als ein Drittel der Schulleitungen, dass Fälle von Gewalt nur zum Teil oder gar nicht aufgefangen werden konnten. In den meisten Fällen lag dies daran, dass Eltern (78 Prozent) und Schüler:innen (75 Prozent) nicht kooperationswillig und/oder nicht einsichtig waren. Aber auch der bürokratische Aufwand der Meldung von Gewaltvorfällen (57 Prozent) und die Überlastung durch die Fülle an anderen Aufgaben (55 Prozent) wurden vielfach als Hinderungsgründe ins Feld geführt. Die Tatsache, dass 34 bzw. 30 Prozent der Schulleitungen angaben, dass das Schulministerium oder die Schulverwaltung sich des Themas nicht ausreichend annehmen würden und 19 Prozent zurückmeldeten, dass die Meldung von Vorfällen von den Schulbehörden nicht gewünscht sei, kommentiert Beckmann wie folgt: „Wenn Gewaltvorfälle vom Dienstherren ignoriert werden oder die Meldung von den Schulbehörden nicht gewünscht ist, ist das schlichtweg ein Skandal. Es gehört zur Fürsorgepflicht des Dienstherren, dass er seine Beschäftigten schützt und derartigen Meldungen nachgeht. Das Mindeste, was Lehrkräfte an dieser Stelle erwarten können, ist, dass sie ihrer Arbeit unbehelligt nachgehen und unversehrt wieder nach Hause gehen können. Wenn Vorgesetzte sich der Gewalt gegen Lehrkräfte nicht ausreichend annehmen, ist das in meinen Augen schlichtweg ein Dienstvergehen.“
Die diesjährigen Antworten auf die in der Befragung jährlich wiederkehrenden Fragen zur Berufszufriedenheit bilden die steigende Belastung, denen Schulleitungen und Lehrkräfte ausgesetzt sind, ab. Bei den größten Problemen an der Schule, beispielsweise dem Lehrkräftemangel (69 Prozent) und der daraus resultierenden Arbeitsbelastung und Zeitmangel (34 Prozent) spitzt sich die Lage seit Jahren zu. Diese Tendenz zeichnet sich ebenfalls bei den größten Belastungsfaktoren von Schulleitungen ab. Ein stetig wachsendes Aufgabenspektrum, steigender Verwaltungsaufwand, zu wenig Zeit, die Überlastung des Kollegiums, der Lehrkräftemangel und der Umstand, dass die Politik die Realität im Schulalltag nicht ausreichend beachtet, werden allesamt von mehr als 90 Prozent der Schulleitungen als starker oder sehr starker Belastungsfaktor benannt.
Die Konsequenzen: Die Anzahl der Schulleitungen, die ihre beruflichen Aufgaben nur gelegentlich oder nie zur eigenen Zufriedenheit erfüllen können, hat sich innerhalb der letzten vier Jahre auf fast 40 Prozent der Befragten mehr als verdoppelt. Ebenso üben Schulleitungen ihren Job immer weniger gerne aus. Hat 2019 noch ein überwältigender Anteil von 96 Prozent eher oder sehr gern eine Schule geleitet, sind es heute nur noch 79 Prozent. Die Anzahl derjenigen, die ihren Job eher oder sehr ungern ausüben hingegen hat sich im selben Zeitraum verfünffacht.
Auch zu der Frage, was Schulleitungen benötigen, um ihrem Job besser nachkommen zu können, haben sie Auskunft gegeben. Die Forderungen sind:
Mehr Anrechnungsstunden für das Kollegium zur Erfüllung besonderer Aufgaben (97 Prozent),
Erhöhung der Leitungszeit an allen Schulen (94 Prozent),
mehr Unterstützung durch andere pädagogische Fachkräfte, Stichwort: Multiprofessionelle Teams (94 Prozent),
bessere Ausstattung mit nicht-pädagogischem Personal, wie beispielsweise Hausmeister:innen oder Sekretär:innen (89 Prozent ) und
Einrichtung oder Beibehaltung einer erweiterten Schulleitung für alle Schulen (88 Prozent).
Udo Beckmann fasst zusammen: „Ohne Schulleitungen, die ihrem Job gerne nachgehen und denen im Schulalltag genug zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen, kann Schule nicht funktionieren und sie kann sich schon gar nicht weiterentwickeln. Angesichts der Bedingungen, unter denen Schulleitungen heute arbeiten müssen, ist es wenig verwunderlich, wenn die Hälfte der Befragten zurückmeldet, dass sie den Beruf der Schulleitung wahrscheinlich nicht oder auf gar keinen Fall weiterempfehlen würden. Schließlich besteht ihre Hauptaufgabe zunehmend darin, den Mangel zu verwalten, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe, die Schul- und Unterrichtsentwicklung voranzutreiben, nachgehen zu können. Politik muss Schulleitungen und Lehrkräften endlich die Rahmenbedingungen liefern, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Völlig zurecht bewerten die Schulleitungen die Schulpolitik in ihrem Land mit 4,3 – Versetzung gefährdet.“
Florence Fischer, Mitglied der Geschäftsführung bei Fleet Education Events, betonte: „Wir sehen, welche Lücke es in Punkto Fortbildungen immer noch gibt. Wenn über die Hälfte (57 Prozent) der Schulleitungen insgesamt und sogar fast zwei Drittel (63 Prozent) der unter 40-Jährigen angeben, dass sie den Ausbau der Fort- und Weiterbildungen als hilfreich oder sehr hilfreich ansehen, um ihre Aufgaben besser erfüllen zu können, zeigt uns das: Wir liegen mit dem Angebot des DSLK richtig. Das bestätigt auch das Feedback, das wir von den Teilnehmenden vergangener DSLKs erhalten haben. 88 Prozent der Teilnehmenden aus 2021 empfehlen den DSLK weiter. Das ist für uns Ansporn, unser Angebot fortlaufend zu evaluieren, weiterzuentwickeln und die Balance zu wahren zwischen Angeboten für Schulleitungen, die frisch im Amt sind oder dieses Amt anstreben und denen, die schon eine längere Berufserfahrung haben.“